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Die Stadt Staßfurt
Das Geheimnis
der Glocke im Tier-
garten zu Staßfurt



Wohl jeder Staßfurter kennt sie, hat sie betrachtet und berührt: die Glocke, welche im Tiergarten Staßfurt aufgestellt ist. Auf die Frage, woher sie stammt, hört man als Antwort oft, sie sei vom "Schiefen Turm", jenem Kirchturm, der nach dem Brand der Staßfurter Stadtkirche St. Johannis stehen blieb und sich durch den Bergbau unter Tage nach und nach neigte, bis er schließlich im Jahre 1964 abgerissen wurde. Diese Antwort ist unwahr, denn dass Geläut der Sankt Johannis- Kirche, gegossen im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert und mit dem des Prager Domes vergleichbar, bestand aus vier Bronzeglocken, von denen im Ersten Weltkrieg drei für Rüstungszwecke abgegeben werden mussten. Die verbliebene kleine Glocke stürzte schließlich beim Brand der Kirche im Jahre 1947 ab und zerbrach. Aus ihren Resten wurde eine neue Glocke gegossen, welche sich heute im Turm der Sankt Petri- Kirche auf dem Königsplatz befindet.

Der heutige Tiergarten Staßfurt war einst der Garten der Staßfurter Industriellenfamilie Adam. Im Jahre 1882 ist im von Staßfurt nur wenige Kilometer entfernten Dorf Großmühlingen eine neue Kirche einschließlich eines neuen, zweistimmigen Geläutes errichtet worden. Diese Staßfurter Industriellenfamilie unterstützte den Neubau und zeigte sich auch später wohlwollend der Großmühliner Kirchengemeinde gegenüber.

Zur Historie der Glocke finden wir in der Abhandlung von Friedrich Winfrid Schubart "Die Glocken des Herzogtum Anhalt", erschienen in der Verlagsbuchhandlung von Paul Baumann, Dessau, im Jahre 1896 folgenden Eintrag:
"Die Glocke des Kirchturms scheint sehr alt zu sein. Dieser kurze Bericht in den Mitteilungen für Anhaltische Geschichte und Altertumskunde II, 194 schien alles zu sein, was über die ehemaligen Glocken von Großmühlingen noch zu erkunden war. Gerade diese kurze Angabe erhöhte jedoch, wie das Bedauern über das nicht mehr Vorhandensein der Glocken, so das Verlangen, über dieselben doch noch etwas zu erforschen. Ein Versuch, dies zu erreichen durch schriftliche Anfrage bei der Glockengießerei der Gebr. Ulrich in Laucha a. U. hatte einen unverhofften Erfolg. Die Herren Gebr. Ulrich hatten die Güte zu antworten: „Von den zwei als Zahlung mit angegebenen alten Glocken in Großmühlingen war die eine zersprungen und trug eine Jahreszahl in Minuskeln des 15. Jahrhunderts, die andere trug Majuskeln, und ist wieder zur Verwendung gekommen". Es gelang ferner zu ermitteln, dass die Glocke nach Groß-Jena bei Naumburg gekommen sei, und die Pietät gegen die Glocke, die an die 600 Jahre in Anhalt erklungen war, gebot eine besondere Fahrt zu ihrer Besichtigung nach Groß-Jena. Dort war die vormals Großmühlinger Glocke als solche sehr wohl bekannt, sie war zur Zeit die einzige, welche im Gebrauch steht, da eine andere neben ihr hängende, auch sehr alte, von oben bis unten zersprungen ist. Man baute gerade in Groß-Jena eine sehr schöne neue Kirche, in dem Turm derselben wird neben zwei neuen Glocken auch die altehrwürdige Glocke aus Großmühlingen ihren Platz finden. Die Glocke ist noch in bestem Zustande, auch die Krone mit ihren sechs Bügeln ist noch vollständig erhalten, wenn sie auch durch eiserne Träger verstärkt ist; nur der Klöppel ist neu, und die Glocke ist so umgehängt, dass derselbe nicht mehr an die früheren ziemlich abgenutzten Schlagseiten anschlägt. Der Ton der Glocke ist voll und rein. Nach ihrer Form und nach dem Charakter ihrer Inschrift lässt sich annehmen, dass die Glocke aus der Endzeit des 13. Jahrhunderts etwa stammt; ihr Durchmesser beträgt 83 cm, ihre Höhe 76 cm. Über dem Schlagring laufen ringsum zwei Rundstäbe, um den Hals bilden zweimal zwei Riemen ein Schriftband, auf dem das alte Glockengebet steht: +O rex Glorie Christe Veni Cum Pace, „O Herr der Herrlichkeit. Christe, komm mit Frieden!" Die Großbuchstaben in Unzialform sind einfach gehalten, nur vereinzelt von Zierlinien umrandet; der Grund zwischen den Grenzstrichen ist ausgehoben. Trennungszeichen fehlen ganz. Die eigentümliche Umstellung der Buchstaben in der Abkürzung für Christe, nämlich PXE statt XPE, hat diese Inschrift gemein mit den Inschriften auf den Glocken zu Gramsdorf, Großweißand und Streetz; siehe Seite 76. Alle diese Glocken werden von einem Meister herrühren. Der altehrwürdigen Glocke sei, obwohl sie nicht mehr in Anhalt läutet, durch Wiedergabe ihrer Inschrift an dieser Stelle ein Denkmal gesetzt, das insbesondere der Gemeinde zu Großmühlingen, deren Altvätern diese Glocke über 600 Jahre lang geläutet hat, wert sein wird. Unter dem Eröffnungskreuz sieht man noch ein Passionsbild, 10,5 cm hoch, 8 cm breit, der Herr mit waagerechten Armen, nebeneinanderstehenden Füßen, ohne Dornenkrone, aber mit Nimbus und titulus, unter dem Kreuz Maria und Johannes."

Es handelt sich bei dieser Glocke um eine sehr alte Glocke, nach der Form und Entstehungszeit wird sie den Zuckerhut-Glocken zugeordnet. Ihr Guss fand um das Jahr 1275 statt, somit ist sie die älteste Glocke auf dem Gebiet der heutigen Kernstadt Staßfurt. Jahrhundertelang läutete sie also in der Großmühlinger Kirche, von der sie nach Großjena verkauft wurde. Der Meister, welcher sie einst schuf, ist unbekannt. Auf dem linken Bild erkennen wir einen Riss, der in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts entstand. Das rechte Bild zeigt ein Medaillon auf der Glocke mit der Kreuzigungsszene, ein typisches Motiv für deren Entstehungszeit.



In Großjena ist wahrscheinlich beim Läuten der zu sehende Riss entstanden. Somit war auch diese Glocke unbrauchbar. Auf Initiative der Familie Adam gelangte die mittelalterliche Glocke der alten und nun bereits abgerissenen Großmühlinger Kirche zur Verschönerung ihres Gartens Ende der neunzehnhundertdreißiger Jahre von Großjena nach Staßfurt.
Mit der Bodenreform nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Garten der Familie Adam Eigentum der Stadt und zum Tierpark umgestaltet. Auch die Glocke kam somit in den Besitz der Stadt Staßfurt. Fast ein Jahrhundert schweigt sie nun, denn von dem Tage an, als sie nach Staßfurt kam, stand sie nur auf einem Sockel. Eine im Jahre 2004 durchgeführte Klangprobe bescheinigte ihr trotz des Risses einen angenehmen hellen Schlagton b'. Im Jahre 2023 gab es Pläne, sie instand zu setzen und ihr wieder die Funktion zukommen zu lassen, für die sie einst geschaffen wurde. Doch aus Kostengründen kamen diese nicht zur Ausführung. Vielleicht bringt die Zukunft ihr ein besseres Dasein, allein ihre Historie wäre es wert!



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